Unter Achtsamkeit – engl. mindfulness – versteht man – kurz gesagt – das bewusste Erleben des Augenblicks ohne Bewertung. Eine Haltung, die unserer kulturellen und persönlichen Konditionierung meistens fremd ist.
Was bedeutet das konkret? Stell dir vor, dein Zug hält mitten auf der Strecke an oder du stehst im Stau. Der konditionierte Reflex unseres Gehirns ist es im Normalfall, einer solchen Situation in den gewohnten Mustern zu begegnen: Je nach Temperament und Konditionierung kann das unterschiedlich ausfallen. Während der eine vielleicht anfängt sich auszumalen, was Schlimmes passiert, wenn er zu spät zu seinem Termin kommt, reagiert eine andere vielleicht mit Wut, drückt auf die Hupe oder fängt an laut zu schimpfen. Je nachdem, was die Verspätung für die Person bedeutet, fangen Blutdruck und Puls an zu steigen, Stresssymptome machen sich breit. Die Ablehnung der Situation, wie sie nun mal gerade ist, steigert den Stress unter Umständen noch. Häufig klingt eine solche Situation noch lange in uns nach, auch wenn sie schon längst vorüber ist. Wir alle kennen das.
Begegnest du einer solchen Situation in einer achtsamen Haltung, kann das bedeuten, dass du erst einmal alles wahrnimmst, was geschieht ohne es zu bewerten. Du nimmst vielleicht wahr, wie deine Gedanken davongaloppieren und sich in Phantasien über die Folgen der Verspätung verlieren. Du nimmst wahr, wie sich vielleicht dein Puls beschleunigt oder du anfängst zu schwitzen. Wenn du in dieser achtsamen Haltung bist, dann hat das zur Folge, dass du dich nicht mehr so sehr mit deinen Gedanken und auch körperlichen Reaktionen identifizierst. Und aus dieser Haltung heraus kann Gelassenheit geschehen – eine innerliche Annahme der Situation, wie sie nun einmal gerade ist. Es kann sich so im besten Fall ein Raum öffnen, der dir vielleicht neue Handlungsoptionen jenseits der erlernten Verhaltensmuster eröffnet.
Der Psychiater Viktor Frankl hat es in einem Satz auf den Punkt gebracht:
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.„
Was sich so einfach anhört, ist es tatsächlich aber ganz und gar nicht. Diese achtsame Haltung will geübt sein, vergleichbar mit einem Muskel, der nur stark ist, wenn er trainiert wird. Um sie zu fördern, gibt es unterschiedliche bewährte Methoden. Eine von ihnen ist MBSR.
Das von Prof. Jon Kabat-Zinn entwickelte, achtwöchige Programm MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) beruht auf verschiedenen – zum Teil jahrtausendelang bewährten – Methoden der Achtsamkeitsschulung, auf Selbstreflexion sowie dem Üben und dem Erfahrungsaustausch in der Gruppe. Jon Kabat-Zinn hat die Wirksamkeit von MBSR von Beginn an wissenschaftlich begleiten lassen. Umfangreiche Studien belegen die Wirksamkeit bei der Stressbewältigung und weisen weitere positive Effekte nach. MBSR kommt heute weltweit in privaten Kursen, im Gesundheitssystem und Unternehmen zum Einsatz.
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SRF – Sternstunde der Philosophie: Achtsamkeit die neue Glücksformel